M is for mother – Louise Bourgeois

M is for Mother, Louise Bourgeois, 1998

Eine darf nicht fehlen, wenn es um Mutterbilder geht. Weil sich kaum eine so ausdrucksstark, aufrichtig und ausführlich mit der eigenen Mutter, aber auch der eigenen Mutterrolle auseinander gesetzt hat, wie Louise Bourgeois.

Da war ich nun, eine Frau und Mutter, und ich fürchtete mich vor meiner Familie. Ich fürchtete mich davor, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Meine Mutter hatte ihre Rolle verstanden und fürchtete sich nicht vor den Ansprüchen. Ich verstand meine Rolle nicht, und ich fürchtete mich davor, sie nicht gut genug zu spielen.

Du brauchst eine Mutter. Das weiß ich, aber ich weigere mich, deine Mutter zu sein, weil ich selbst eine Mutter brauche.“

Louise Bourgeois

26 Mutterbilder reloaded

Mutter und Kind Version i- Susanne Haun
Mutter und Kind Version i- Susanne Haun

 

Dieses Bild hat mir Susanne bereits 2013 zur Verfügung gestellt. Damals schrieb ich dazu:

Die Zeichnung spricht für sich. Dennoch einige Anmerkungen.

Das Bild einer Frau ändert sich, sobald ihr die Rolle der Mutter zuwächst. Sie verändert sich, rein körperlich, und sie wird anders wahrgenommen. Anders bewertet. Die Menschen um sie herum (und vermutlich auch sie selbst) haben auf einmal andere Erwartungen an sie. Auf einmal sieht man in ihr viel eher ein Modell, als ein Individuum.

Genau dort beginnt der relativ neue Konflikt für Frauen, die heute Mutter werden. Denn es gibt keine allgemeingültigen Rollenvorbilder mehr, kein eindeutiges richtig und falsch. [Und nach der hoch emotional geführten „regretting motherhood“ Debatte muss ich vielleicht relativieren, dass es dennoch Tabus gibt, Dinge, die eine Mutter nicht aussprechen darf]

Prinzipiell kann jede Frau, nicht nur entscheiden, wann sie wie viele Kinder bekommt, sondern auch, wie sie die Mutterrolle für sich versteht. Ob sie die Arbeit, ihren Beruf, eine Zeitlang oder ganz aufgibt, ob sie Voll- oder Teilzeitmutter sein will, die Kinder zu Hause betreut, oder in Einrichtungen bzw. zu Tagesmüttern gibt [Tagesväter gibt es meines Wissens nach noch nicht], welchen Erziehungsstil sie pflegt und wie viel „Förderung“ sie ihrem Kind zukommen lässt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Was zunächst wie ein immenser Zugewinn an Freiheit aussieht (und das ja auch ist), entwickelt sich bei näherem Hinsehen schnell zu einer Quelle stetiger Verunsicherung.

Die Freundin glaubt, dass es weder für die Mutter noch für das Kind gut sein kann, das Kind so lange zu Hause zu betreuen, die Mutter (der neuen Mutter) ist überzeugt, es müsse jeder Mutter das Herz zerreissen, nicht selbst diejenige zu sein, die dem Nachwuchs die ersten Schritte beibringt, das erste Wort. Die finanzielle Situation und der gewohnte Lebensstil und nicht zuletzt die Ausbildung, lassen es nicht zu, längere Zeit aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, zumal es fast sicher ist, dann nie wieder wirklich den Anschluss zu finden.

Und wenn man versucht, die Aufgaben zwischen Vater und Mutter zu teilen, halbieren sich die Probleme, während sie sich auf der anderen Seite verdoppeln. Und das Schlimmste: es ist eine Entscheidungssache, man kann sich nicht länger hinter Aussagen zurückziehen die als eherne Gesetze allgemein anerkannt sind, für jede These findet man Argumente und Fürsprecher. An die Stelle von Eindeutigkeit ist eine Vielzahl von Möglichkeiten getreten. Gewisseiten sind verloren gegangen. Zuschreibungen und Erwartungen nicht.

25 Geburt

Zum Tag meiner Geburt habe ich meine Mutter begleitet. Wir kämpften von unterschiedlichen Richtungen, während sich das Licht brach, schworen wir einander nicht aufzugeben. Die Hoffnung nicht zu verlieren, die Zuversicht. Ich versprach ihr: durch mich wirst du geboren. Sie versprach mir, ich werde dich niemals verlassen, du wirst kaum einen Unterschied fühlen. Und die Natur und die Menschen um uns herum waren unermüdlich bei ihren Bestrebungen, uns zu trennen. Du wirst ihn endlich ansehen können, sagten sie ihr, ihn im Arm halten, aber meine Mutter wusste, sie vertrieb uns beide aus dem Paradies, wir waren auf dem Weg von der Vorstellung in die Wirklichkeit. Unumkehrbar dieser Weg. Und so lag ich wenig später blutverschmiert auf ihrem Bauch, während sie schon in diesem Moment die Schmerzen vergessen hatte und zögerlich versuchte an sich zu glauben. Zu glauben, die Liebe mit der mein Anblick sie überschwemmte, würde schon genügen, um nicht alles verkehrt zu machen. Würde die Angst überwinden können und die Unsicherheit.

23 Drei Texte zum Bild eines Menschen – Matthias Bronisch

CONTERFEY

der erbaren, vormalen von überhäuffter Last und viel grau- sam Beschwerden gepeinigt, späterhin in sonniger Gefild ein ruhiger Leben und Taglauff genießend, FRAU MUTTER, nachmalen WITTIB Martha Bronski.

JA! (werdet ihr sagen) wer solte wol gemeint haben, daß ich mich einmal möchte unterstehen, sie, derer Le-ben nun währet, als der Psalmist ein reich Leben rechnet, abzucon-terfeyen, abzumalen ihr Gestalt und Charakter? Aber was wollt davor seyn? Such ich sie doch, werd sie (so Gott hülfreich ist) wol auch finden,daß ihr Bild recht gelinge und gerecht sey dem Originale. Ihr Haar ist weiß, von Alter und von Sorgen umb ihrer Kinder willen, ihr Antlitz schmal, doch merket man ein hoch und breit Stirn, glatt und in solchem Bogen, daß die Augen tieff darunter in Höhlen Schutz suchen gegen Unbill, die die Stirn muß abwehren. Die Wölbungen der Augenbogen stützt die schmale und schlanke Säul der Nase derer basis die schmale Linie der Lippen zu seyen scheint. Ein Bogen das Kinn, nicht breit nicht schmal, gibt Antwort der Stirn, wann er möcht sagen: ich trotz dem Unbill; wann er möcht sagen: ich geb nach. Und alles ru-het und ist bereit sich umbzuwenden gegen das, was dreut, auch zuzuwenden mit den Augen, vor-sichtig im Schutz der Stirn, daß nicht ein wendisch Glück hineinfahr und

das Innerste erschütter, die wehrhaft Stirn einreiß und zusammenstürtze der Bau, den zu erhalten ihr Sinnenund Bestreben ist. Und dieses Haubt nun, Umlot von weißer Flamme, seitwerts züngelnd, erhebt sich über einem corpus (wie die leichte Flamme über dem schweren,wächsern Leib der Kertze), noch immer kräf tig, doch schon behä-biger,dem Kopfe wider spre chend in dessen Wendigkeit und Helle. Sitzt sie (doch ruht sie sel ten), so liegen die Hände ineinander und die Augensehen darauf, dann mag sie sich wol Rechenschafft geben von ihrem Thun und Lassen, genaue Re-chenschafft, damit nicht fehle, was in die ein oder ander Waagschal falle. Vielleicht auch gedencket sie ihres gantzen Lebens-Lauffes, und hoffet, er möchte Gnad finden und sie ein wenig Hoffnung fassen ob dessen, was da kommen wird. Fragt ihr sie, wie sie ihr Lebtag gewesen, sie möcht wol schweigen, denn sollt sie auch sicher seyn, weiß sie doch, welch wendisch Wesen das Glück, und was es noch bereit kann halten auff den letzten Schritten.

Bekenntnisse einer bürgerlichen Seele

Bis in mein achtzehntes Lebensjahr war ich als jüngste von vier Geschwistern der Liebling meines Vaters, der mir auf langen Spaziergängen Blumen und Kräuter, ja die Natur im großen und ihr Leben im Kleinen erklärte, sogar – er war Apotheker – mit lateinischem Namen nannte, dergestalt, daß ich bald auf den Wiesen und in den Wäldern mich leichter zurechtfand als in der mensch‑

lichen Gesellschaft.

Dann verließ ich das elterliche Haus und ging von B., einem stillen Flecken an den sanften Hängen des Wiehengebirges, nach Dresden, wo ich als Kinderschwester eine Tätigkeit zu erlernen hoffte, die meiner immer stärker aufkommenden Liebe zu den Menschen, vor allem den jungen, hilflosen ein rechtes Objekt böte.

Doch die Zeit war voller heftigster Veränderungen in den 30er Jahren, und ich lernte, daß es des Menschen Natur ist, sich in das Veränderte zu finden. Und ich fand mich in einer Moorbauernkate unter einfachen Menschen, deren Verhältnisse so ganz anders waren als die, in denen ich die Welt und die menschliche Gesellschaft kennengelernt hatte.

Die Kinderwelt blieb hinter mir zurück, und ich erlebte und durchlebte in der Arbeit den Dienst am Menschen und im Dienst die Arbeit für den Menschen und erkannte aufs Lebhafteste, dass ich der neuen Zeit gehörte.

Witwe Bronski

Sie ist siebzig, weißhaarig und in den Gesichtszügen hat sich ein arbeitsrei­ches Leben eingegraben. Ihre Gestalt ist noch immer kräftig, wenn auch der Gang schon schwerfällig und mühsam.

Mit dreißig Jahren verlor sie ihren Mann, mit dem sie schon die sechs Jah­re, die er gleich nach ihrer Heirat in den Krieg mußte, nur noch selten zu­sammen sein konnte. Danach blieb sie mit ihrer Arbeit für die fünf Kinder allein.

Die ersten Jahre hielt sie manchmal in der Arbeit inne, als hätte sie Schrit­te gehört, dann erlosch auch diese Hoffnung, und sie flüchtete sich in den Dampf der Waschkessel oder vergrub sich hinter Näharbeiten. Im Jahre 1953 erhielt sie durch ein Schreiben der Friedhofsverwaltung Horn in Niederösterreich die endgültige Gewißheit, daß sie allein war.

Ausweis:
27.7.1914
Bad Essen
165
oval
blau
keine
Personalnummer:
L9M127W69

 

[bei den hier vorliegenden Texten handelt es sich um einen Auszug aus der Foto- Text – Mappe „Mensch und Erkenntnis, die 1984 als Gemeinschaftsarbeit von Karl-Martin Holzhäuser (Fotos) und Matthias Bronisch, (Texte), entstanden ist. ]

 

22 MAMA MIA

Stets wohl zu Haus in Dir,

warst Du mir zumeist fern –

die Zuwegung zu Dir früh schon verbaut

durch das Gedankenfutter

Deiner beachtlichen Bücherberge,

wohl geordnet um Dich wild getürmt,

das hiesige Tor zu Deinem Ohr jedoch

kaum außerhalb täglicher Sprechstunde

geöffnet zur Klärung schulischer Fragen.

Im Zauberreich unvergesslicher

Kinderseligkeiten von Hefeklößen,,

Zimtmilchreis, seelentröstender Schokocreme

fand ich Dich zugänglicher

zwischen rühren und abschmecken

mit einem Löffel voller feinster Vanillesoße

nur für mich – alle drei Wochen aber

noch köstlicher das gemeinsame Abarbeiten

verschmutzter familiärer Geschirrberge

bei gleichzeitiger Durchdringung

meiner weitschweifig kindlichen Fragen

über Gott und die Welt hier ganz bei Dir,

fand ich Dich in kühnen Gedankengängen, auch

im Festhalten kruder, erdbrauner Glaubenssätze,

fand ich mich: aufsaugend, zunehmend heftig reibend.

Und wenn auch die Zugbrücke zu Dir

stracks hochklappte bei jeglicher Andeutung

von Mißmut, Mißachtung, gar offenem Widerstand,

ich mich in Deinem schmallippigen Schweigen mitunter verlor,

fand ich Dich in all Deinen Herzenszettelchen

mit allerliebsten, bunt gemalten Grüßen,

viel mehr noch im besonderen Geschenk

eines Lächelns sparsamer Zärtlichkeit,

doch auch in sorgend liebevoller Nähe.

Und wenn die lebenslang leidenschaftlichen

Selbstentzündungen Deines Feuerwerks eigener

Klänge, Wortmelodien, Seins- und Sinngewissheiten wie

auch Dein nachspürendes Auf-, empörtes Nieder-Schreiben

Dich zu Deinem Ende in zunehmend düstere Irrgärten

eintauchen, zusehends entschwinden ließen,

fand ich Dich – festlich final geerdet – schließlich

in Deinem Grabspruch wieder,

in dem, was Deins war und des Lebens

in brausenden Winden, dem Schneegeglitzer,

Vogelkreisen, Sommersonne und Abendstern –

und damit vom Leben warm getragen.

Und heute noch find ich Dich wieder, gelegentlich –

in Wiedergängern mütterlicher Schreckgespenster,

aber auch mit Deinen mütterlichen Schätzen – in mir!

Helga Schulze Kämper


Helga Schulze-Kämper, Abzweigungen

Wenn es auch hier nach ihr gegangen wäre und damit vier Söhne ihrem weiteren Lebensweg leuchten sollten, nahm meine Mutter mich dennoch, ihr 1949 als ihr jüngstes Kind in Detmold geboren, einige Jahre entzückt hin als niedlichen, zutraulichen Handspiegel – bis sie sich wohl kaum mehr in ihrem Kind wiedererkennen mochte, nunmehr vom bösen, widerspenstigen Zickenvirus befallen. Doch gerade dessen beharrliche, mitunter schmerzvoll offensive Austragung erlaubte mir zusehends, mich loszulassen von ihr, grambefreit.

Mit Beginn der 70ger Jahre wurde ich mehr und mehr von den Fliehkräften des gesellschaftlichen Aufbruchs erfasst, was sich im baldigen Weggang von Bonn Richtung OWL und meiner dortigen langjährigen Arbeit als Gesamtschullehrerin fortsetzte. Zwei Jahre nach Beendigung des Schuldienstes verband ich, nun selbst lebenslang lernende TochterMutter, mein politisches Interesse mit mir unversehens zuwachsender Schreiblust – auch an lyrisch-politischen Textminiaturen. Das war nicht ohne ironischen Kniff, war mir doch das Autoren-Dasein meiner Mutter, auch in seiner verdichtenden Form, lange deutlich anstößiger als anziehend.

Eine mehrjährige Zusammenarbeit verbindet mich seitdem mit dem Bielefelder Literaturmagazin ‘Tentakel‘. Einige wenige Texte finden sich in Anthologien des Chili-Verlags. Daneben bin ich im Bereich Malerei, Objekte, Fotografie unterwegs und Initiatorin vom Bielefelder ‘FrauenKulturNetz‘ (FraKuNe/2011) und ‘DenkFreiRaum‘ (2012) sowie einer gemeinschaftlichen VorLese im Bielefelder Ostmannturm (ab 2017).