17 Falsches Heimweh

Die Füße stecken in Schuhen, die klappern. Das Klappern kontrolliert die Zimmer. Es geht die Treppe hoch und geht die Treppe hinunter. Manchmal sitzt das Klappern am Schreibtisch. Dann klappert die Schreibmaschine. Die Schreibmaschine hat Zähne, die hoch und runter klappern, und eine Zunge aus Papier. Die Schreibmaschine ist ein großes Maul, das alles frisst. Und auch die Rechenmaschine streckt die Zunge heraus, eine Zunge, die immer länger wird, je mehr Rechnungen auf dem Schreibtisch liegen. Manchmal steht das Klappern in der Küche, und auch die Töpfe und Teller klappern, und es riecht nach gebratenen Zwiebeln oder nach Ei oder Fleisch. Und manchmal steht das Klappern im Bad ohne Fenster, malt die Lippen rot und kämmt sich und eilt nach draußen und kommt mit Tüten und Körben voller Wäsche zurück.

Es ist besser, das Klappern nicht zu stören, denkt das Kind, denn das Klappern muss stetig weiter klappern. Es folgt einem genauen Plan, und der darf nicht angehalten werden, denn wenn er angehalten würde, käme der Plan durcheinander oder, es wäre, noch schlimmer, plötzlich still, und wenn es still wäre, wäre das Klappern vielleicht nichts mehr oder niemand, oder es wäre tot.

Das Klappern ist tapfer und hasst Tränen, auch eigene, welche aus den Augen in die Nase und dann in die Mundwinkel tropfen, und es hasst herunterhängende Kindergesichter. Das Gesicht des Kindes hängt schon seit Tagen herunter. Es hängt wie nasse, schlaffe Wäsche, die nicht trocknen will, und tropft. Das Klappern will das nicht, es will, dass alles klappt. Problemlos. Punkt. Es will kein Kind, das nichts tut und in die Leere blickt und Bildern mit Himbeerstauden, mit braunen Locken, braun wie Gartenerde, mit Deckenbergen und warmen, hageren Händen nachhängt und Anis riecht und das Haus hinter dem Bach festhalten möchte und dabei in die Luft greift und dessen Hals eng wird, bis Tränen in die Nase und in die Mundwinkel tropfen.

Das Klappern schimpft, du liebst mich nicht, und beklagt sich bei Herrn Gott über das undankbare Kind, welches das falsche Heimweh nach der falschen Person in der falschen Seele trägt.

Unter Herrn Gottes strengem Feldstecherblick wird das Kind biegsam wie ein Radiergummi und radiert das falsche Heimweh aus der Seele aus. Die Seele wird weiß wie die Augen der Engel und stört von nun an weder Herrn Gott noch das Klappern.

Elisabeth Masé – Auszug aus dem unveröffentlichten Roman „Krötenhaut“

Elisabeth Masé

Eröffnet wurde der Reigen der Mutterbilder mit einem Aquarell der Künstlerin Elisabeth Masé, die gerade in Berlin ihr Projekt „DAS KLEID“ erfolgreich abgeschlossen hat. Elisabeth hat eine informative und übersichtliche Homepage, so dass ich hier nur kurz erwähnen möchte, dass einige der auf Tausend Mutterbilder präsentierten Aquarelle in ihrem vor zwei Jahren bei Kleinheinrich erschienen Bilderbuch abgebildet sind. Ein Buch, in dem ich eines der Themen angedacht finde, die auch für das Mutterthema zentral sind. Der rote Faden, den Masé in viele ihrer Bilder stickt, handelt nicht zuletzt von diesem Faden, der uns zu Anfang unseres Lebens genährt hat, und der dann durchtrennt werden muss. Die Nabelschnur als Verbindung zwischen Mutter und Kind, als Doppelnatur einer Verbindung zwischen Verletzung und Heilung, Verbundenheit und notwendiger Trennung. Ausdruck der Notwendigkeit von Schmerz für die persönliche Entwicklung.

Insofern ist alles bereits am Anfang des Lebens angelegt; Trennung, Narbe, Entwicklung. Und, wie Elisabeth Masé es in einem ihrer Bilder auf den Punkt bringt: „Mama, die Nacht hat zwei Enden.“