Stets wohl zu Haus in Dir, warst Du mir zumeist fern – die Zuwegung zu Dir früh schon verbaut durch das Gedankenfutter Deiner beachtlichen Bücherberge, wohl geordnet um Dich wild getürmt, das hiesige Tor zu Deinem Ohr jedoch kaum außerhalb täglicher Sprechstunde geöffnet zur Klärung schulischer Fragen. Im Zauberreich unvergesslicher Kinderseligkeiten von Hefeklößen,, Zimtmilchreis, seelentröstender Schokocreme fand ich Dich zugänglicher zwischen rühren und abschmecken mit einem Löffel voller feinster Vanillesoße nur für mich – alle drei Wochen aber noch köstlicher das gemeinsame Abarbeiten verschmutzter familiärer Geschirrberge bei gleichzeitiger Durchdringung meiner weitschweifig kindlichen Fragen über Gott und die Welt – hier ganz bei Dir, fand ich Dich in kühnen Gedankengängen, auch im Festhalten kruder, erdbrauner Glaubenssätze, fand ich mich: aufsaugend, zunehmend heftig reibend. |
Und wenn auch die Zugbrücke zu Dir stracks hochklappte bei jeglicher Andeutung von Mißmut, Mißachtung, gar offenem Widerstand, ich mich in Deinem schmallippigen Schweigen mitunter verlor, fand ich Dich in all Deinen Herzenszettelchen mit allerliebsten, bunt gemalten Grüßen, viel mehr noch im besonderen Geschenk eines Lächelns sparsamer Zärtlichkeit, doch auch in sorgend liebevoller Nähe. Und wenn die lebenslang leidenschaftlichen Selbstentzündungen Deines Feuerwerks eigener Klänge, Wortmelodien, Seins- und Sinngewissheiten wie auch Dein nachspürendes Auf-, empörtes Nieder-Schreiben Dich zu Deinem Ende in zunehmend düstere Irrgärten eintauchen, zusehends entschwinden ließen, fand ich Dich – festlich final geerdet – schließlich in Deinem Grabspruch wieder, in dem, was Deins war und des Lebens in brausenden Winden, dem Schneegeglitzer, Vogelkreisen, Sommersonne und Abendstern – und damit vom Leben warm getragen. Und heute noch find ich Dich wieder, gelegentlich – in Wiedergängern mütterlicher Schreckgespenster, aber auch mit Deinen mütterlichen Schätzen – in mir! |
Helga Schulze-Kämper
Helga Schulze Kämper
Helga Schulze-Kämper, Abzweigungen
Wenn es auch hier nach ihr gegangen wäre und damit vier Söhne ihrem weiteren Lebensweg leuchten sollten, nahm meine Mutter mich dennoch, ihr 1949 als ihr jüngstes Kind in Detmold geboren, einige Jahre entzückt hin als niedlichen, zutraulichen Handspiegel – bis sie sich wohl kaum mehr in ihrem Kind wiedererkennen mochte, nunmehr vom bösen, widerspenstigen Zickenvirus befallen. Doch gerade dessen beharrliche, mitunter schmerzvoll offensive Austragung erlaubte mir zusehends, mich loszulassen von ihr, grambefreit.
Mit Beginn der 70ger Jahre wurde ich mehr und mehr von den Fliehkräften des gesellschaftlichen Aufbruchs erfasst, was sich im baldigen Weggang von Bonn Richtung OWL und meiner dortigen langjährigen Arbeit als Gesamtschullehrerin fortsetzte. Zwei Jahre nach Beendigung des Schuldienstes verband ich, nun selbst lebenslang lernende TochterMutter, mein politisches Interesse mit mir unversehens zuwachsender Schreiblust – auch an lyrisch-politischen Textminiaturen. Das war nicht ohne ironischen Kniff, war mir doch das Autoren-Dasein meiner Mutter, auch in seiner verdichtenden Form, lange deutlich anstößiger als anziehend.
Eine mehrjährige Zusammenarbeit verbindet mich seitdem mit dem Bielefelder Literaturmagazin ‘Tentakel‘. Einige wenige Texte finden sich in Anthologien des Chili-Verlags. Daneben bin ich im Bereich Malerei, Objekte, Fotografie unterwegs und Initiatorin vom Bielefelder ‘FrauenKulturNetz‘ (FraKuNe/2011) und ‘DenkFreiRaum‘ (2012) sowie einer gemeinschaftlichen VorLese im Bielefelder Ostmannturm (ab 2017).